Davor und dahinter – Migration und wilde Siedlungen vor der Mauer
Das Cottbusser Tor ist eines der ältesten Tore in der Akzisemauer. Wie auch bei den anderen Toren war hier eine wichtige Funktion nicht nur die Kontrolle des Warenverkehrs, sondern auch die Regulierung der Zugänge in die Stadt, also auch die Kontrolle von Menschen, die sich dauerhaft in Berlin ansiedeln wollten. Gleichzeitig wollte man so Straftaten vermeiden bzw. verfolgen und Krankheiten eindämmen. Insofern war die Mauer bzw. das jeweilige Tor für manche Personen, die aus der Stadt heraus, meist aber in die Stadt hinein wollten, auch der Endpunkt. Sie mussten sich vielfach ein anderes Tor suchen – so etwa die Juden, die ausschließlich das Rosenthaler Tor nutzen durften. Andere mussten umkehren oder einfach warten. Für manche wurde dieses Warten zu einem Dauerzustand; sie siedelten sich notgedrungen vor den Mauern der Stadt an. In den meisten Fällen hieß das, dass sie zwar kurzzeitig Zutritt zur Stadt bekamen, ihnen aber die Ansiedlung in der Stadt nicht genehmigt wurde. So wurde die Mauer auch zur sozialen Grenze. In der Spätphase der Mauer und vor allem in der Zeit ihres Abrisses in den 1860er und 70er Jahren entstanden gerade vor dem Cottbusser Tor die sogenannten Barrakia – wilde Siedlungen von Menschen, die innerhalb der Stadtmauern kein Zuhause oder keine Bleibe fanden, weil Besiedlungsdichte und Mieten innerhalb der Stadt so sprunghaft anstiegen.
Anders als vor den Toren im Norden der Stadt, wo die Mauer noch viel stärker soziale Grenze und Barriere war und die Menschen in unbeschreiblicher Armut lebten, gab es in den wilden Siedlungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem Cottbusser Tor entstanden, einen gewissen Stolz der Bewohner*innen, die hier 1872 den „Freistaat Barrackia“ ausriefen. Die Siedlung wurde aber noch im selben Jahr unter massiven Protesten geräumt.